Rezension: „Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte“

Dieses Buch ist ein fantastisches Aufklärungsbuch, das dazu noch sehr sehr lustig ist (es ist ja auch von Marc-Uwe Kling) und komplett unverkrampft und nebenbei ganz ganz viele Dinge super gut macht:

„Adultismus“ geraderücken: in vielen Aufklärungsbüchern erklären die Eltern den Kindern wie alles läuft, hier ist es schönerweise nachdem die Eltern grandios scheitern an dem Aufklärungsgespräch die große Schwester (mit der das Gespräch eigentlich geführt werden sollte) die der kleinen Schwester erklärt was Sex ist. Das ist erfrischend und ich nehme an – ohne ein Teenagerkind zu haben – dass diese tatsächlich oft informierter und aufgeklärter sind als ihre Eltern 🙂

Wenig Heterosexismus: es sind zwar nur Heteropaare im Buch, aber es wird erwähnt dass Menschen jedweden Geschlechts Sex miteinander haben können, und auch zwischen mehr als zwei Menschen (eher so am Rande als Scherz für die erwachsenen Lesenden denke ich – keine Panik!)

Es wird thematisiert dass Menschen Sex üblicherweise haben weil sie es schön finden, und nicht um Kinder zu kriegen – wie dadurch Kinder entstehen können wird aber auch erwähnt. Es wird sogar am Rande erwähnt dass man sich nicht unbedingt lieben muss um Sex miteinander zu haben.

Consent wird thematisiert (auch am Rande), und, was ich ganz toll fand, auch dass Eltern kein Recht haben den Jugendlichen vorzuschreiben ob sie Sex haben dürfen oder nicht. Ich habe mir Gedanken gemacht ob ich es besser gefunden hätte dass noch mehr über Consent geredet wird, aber da es ein Buch für jüngere Kinder (ca. 5+) ist finde ich es eigentlich gut so – solange das in Büchern für ältere Kinder thematisiert wird.

Ich hab vor einiger Zeit mal irgendwo (vergessen wo) eine Diskussion gelesen von „Penetration“ (eindringen) vs. „Circlusion“ (umschließen). Im Buch wird einmal von „penetrativem […] Geschlechtsverkehr“ gesprochen, aber woanders dann von „umschließen“. Ich hätte gedacht dass die Debatte relativ obskur ist und NIE im Mainstream ankommen wird. Wie schön dass das da so selbstverständlich verwendet wird!

Ich hab in Rezensionen von anderen Aufklärungsbüchern gelesen dass die Eltern der Meinung waren dass die Kinder verstört waren von expliziteren Bildern, ich kann das nicht beurteilen wie das bei uns wäre, aber das Buch verzichtet auf Bilder vom Geschlechtsakt.

Ich finde auch super dass der Vater eine zentrale Rolle spielt. Ich habe darüber nachgedacht ob es mich stört dass er etwas schlecht wegkommt in dem Buch – ob das so eine „Idiot Dad“ – Geschichte ist, aber ich finde eigentlich nicht. Es ist ja nicht so dass er etwas „klassisch weibliches“ versucht und dann die Mutter übernehmen muss weil er es nicht hinkriegt, sondern beide Eltern versuchen ziemlich unbeholfen ein Teenagerkind aufzuklären das wesentlich besser Bescheid weiß als sie selbst.

Also: wärmstens empfohlen, für Kinder gibt es viel zu lernen, für Erwachsene viel zu lachen 🙂

Das kleine ich-bin-ich

von Mira Lobe, Illustration von Susi Weigel, ab ca. 4 Jahren

Das ist das poetischste Kinderbuch das ich bisher gelesen habe. Die Reime sind wunderschön. Die Geschichte ist es ebenfalls: ein kleines Wesen wird gefragt was es ist, und sucht dann quasi bei allen möglichen Tieren nach Zugehörigkeit: bin ich ein Pferd? Bin ich ein Fisch? Bin ich ein Papagei? Ein Hund? Mein Lieblingsteil ist der mit den Hunden:

Durch die Stadt und durch die Straßen
geht das bunte Tier spazieren
und begegnet neuen Tieren.

Trifft vor einem Bäckerladen
eine ganze Schar von Hunden
alle sind kurz angebunden
alle zerren an der Leine,
dicke, dünne, große, kleine
ruppige und struppige
seidige, geschmeidige
gut dressierte, schön frisierte
schmale, breite, Seit an Seite
dumme Hunde und gescheite.

„Guten Morgen, liebe Hunde
bin ich nicht vielleicht wie ihr,
ähnlich diesem Dackel hier?
Denn ich bin ich weiß nicht wer
Suche hin und suche her
suche her und suche hin
Möchte wissen wer ich bin.“

Alle Hunde groß und klein
bellen laut: „Was fällt dir ein?
Hast zwar Ohren wie ein Dackel,
auch sein Freuden-Schwanzgewackel,
aber deine kleinen Beine
sind nicht so schön krumm wie seine.
Hast auch keine Hundeleine
und bist überhaupt zu bunt – und kein Hund!“

Am Schluss erkennt es: „Ich bin ich!“, und wird auch als ein „ich-bin-ich“ von den anderen anerkannt. Ich finde das so eine wertvolle Botschaft, und es sind einfach wunderbare Reime. Es gibt sogar eine Anleitung wie man sich selbst ein „ich-bin-ich“ Tier basteln kann 🙂

Nelly und die Berlinchen: Die Schatzsuche

Buchrezension: Nelly und die Berlinchen: die Schatzsuche. Karin Beese (Autorin) und Mathilde Rousseau (Illustratorin)

Ich habe in einem vorherigen Beitrag schon etwas über den ersten Band geschrieben.

In dem zweiten Band der Reihe geht es wieder um die drei Freundinnen Nelly, Amina und Hannah (die „Berlinchen“). Diesmal sind sie augenscheinlich mit ihren Familien auf dem Tempelhofer Feld unterwegs und treffen dort auf eine andere Kinderbande (die „Drachenbande“) mit denen sie sich zuerst spielerisch streiten (indem sie sich gegenseitig Rätsel stellen) und dann aber gemeinsam spielen.

Wieder ist das Buch natürlich wegen seiner selbstverständlichen Diversität (und in meinen Augen auch der starken Vaterfigur in Form von Nellys Vater) sehr empfehlenswert, und ich fand es in vielerlei Hinsicht besser als den Vorgänger.

Erstens gibt es in dieser Geschichte kein „Mädchen gegen Jungs“, was mich sehr erleichtert da ich diese Idee nicht aus Versehen durch Bücher bei uns einführen möchte.

Zweitens ist die Geschichte wesentlich interessanter und vielseitiger. Die Rätsel in Reimform sind sehr mitreißend (das Kind ruft immer die Lösungen laut mit). Die Geschichte ist trotzdem weniger furchteinflößend als die des ersten Bandes, da niemandem ernsthaft etwas passieren kann – das war mir damals nicht aufgefallen, aber das Kind hat gerade eine Phase in der es keine aufregenden Bücher mag und verschmäht daher den ersten Band gerade komplett.

Ich finde das Buch auch besser gereimt. Der Lieblingsreim des Kindes (der immer mal wieder in allen möglichen Situationen aufgesagt wird) ist:

In den Beeten, auf der Wiese,
unter Sträuchern, im Gemüse, …

Das Buch wird u.a. auch hier und hier besprochen.

Nelly und die Berlinchen – Rettung auf dem Spielplatz

Buchrezension: Nelly und die Berlinchen – Rettung auf dem Spielplatz. Karin Beese (Autorin) und Mathilde Rousseau (Illustratorin)

Dieses Buch hat ein sehr schönes Ziel, es ist feministisch und anti-rassistisch und zeigt auch verschiedene Familienformen (Hannahs Mutter ist z.B. alleinerziehend wenn ich das richtig verstanden habe), und Nelly’s Vater spielt in ihrer Familie eine wichtige Rolle, was mir sehr am Herzen liegt. Also das ist alles toll und es sollte viel mehr solche Bücher geben. Und unser Kind mag das Buch gern, und wollte es auch schon nachspielen mit uns.

Aber: das Buch hat mir nicht so gefallen. Ich habe eigentlich nur eine „richtige“ Kritik: Das ist das erste Buch das wir haben das man zumindest so auslegen kann dass es eine gewisse Mädchen vs. Jungs – Konkurrenz/Feindschaft gibt. Dieser Aspekt hat mir sogar in der Conni-Reihe besser gefallen, in der Conni ganz selbstverständlich auch mit Jungs befreundet ist.

Ansonsten habe ich eigentlich nur zu bemängeln dass es nicht ganz mein Geschmack ist. Das ist ja eigentlich egal, es muss ja dem Kind gefallen, aber wir lesen Bücher so häufig vor dass ich mir schon wünschen würde dass ich das Buch auch mag. Hier also was mir daran nicht gefallen hat:

Erstens: die Geschichte ist irgendwie repetitiv. Hier eine Kurzzusammenfassung: Aminas Bruder Samir und sein Freund Oskar klauen Aminas Teddy und werfen ihn zunächst auf dem Spielplatz auf einen Kletterturm. Nelly holt ihn, er fällt ihr aber beim Klettern runter. Dann klauen sie ihn wieder und werfen ihn auf einen höheren Kletterturm. Amina holt ihn und fällt selbst beim Klettern runter, wird von den anderen aufgefangen, und alle versöhnen sich.

Zweitens fand ich die Reime nicht schön. Ich habe allerdings den Fehler gemacht das gleich nach Mira Lobes „Das kleine Ich-bin-ich“ zu lesen, das mich total bezaubert hat mit seiner Poesie (mein Mann fand aber wiederum Lobes Buch anstrengend und repetitiv :)). Nichtsdestotrotz ist es meineserachtens holprig gereimt (nicht dass ich das besser könnte!).

Drittens finde ich das Buch nicht so schön gezeichnet. Mein Kind (das aber zugegebenermassen für das Buch am Anfang vielleicht noch zu klein war) hatte am Anfang manchmal auch ein bisschen Schwierigkeiten die Bilder zu entziffern.

Wir haben den zweiten Band dazu („Nelly und die Berlinchen – Die Schatzsuche“) jetzt gekauft – der gefällt mir viel besser (Rezension folgt!). Ich würde natürlich trotzdem auch für diesen Band eine dringende Kaufempfehlung aussprechen, weil es total wichtig ist dass Kinderbücher möglichst divers sind, und das ist das Berlinchen-Buch auf jeden Fall!

Warum muss ich schlafen?

Dieses Buch hat mein Mann bestellt von einer Seite die anti-rassistische Bücher verkauft, d.h. unter anderem sich bemüht, nicht nur weiße Protagonist*innen darzustellen (Tebalou heißt sie). Das Buch ist gleichzeitig auch anti-sexistisch. Es gibt eine Feuerwehrfrau, eine Astronautin, man sieht sowohl den Vater als auch die Mutter sich um die drei Kinder kümmern, und vieles mehr. Das Buch ist gleichzeitig auch sehr interessant (auch für die Vorlesenden, wir lernen auch was) und schön gemalt. Ich kann es sehr empfehlen.

Noch ist das Kind zu klein (eigentlich zu klein für das Buch, aber es mag es sehr), aber ich kann mir vorstellen dass es später evtl mal bei mir den Konflikt geben wird ob ich es korrigiere wenn es die Person die für mich ganz klar eine Feuerwehrfrau ist als Mann sieht. Das wird im Text nämlich offen gelassen. Im Prinzip ist es ja egal, das Kind hat auch etwas gewonnen wenn es weiß dass Männer nicht immer so „typisch männlich“ aussehen müssen.

Auf jeden Fall ist das eines der besten Bücher die wir haben, und kann ich es gar nicht erwarten die anderen Bücher in der Reihe zu kaufen, wenn unser Kind ein bisschen älter ist.