„Ja“ sagen / „Nein“ sagen

Edit 2022: es gibt inzwischen im gewünschtestes Wunschkind Podcast eine empfehlenswerte Folge dazu: Folge 79 – Grenzen setzen in der beziehungs- und bedürfnisorientierten Elternschaft

Bei „gewünschtestes Wunschkind“ geht es (u.a.) viel um das „Ja“ obwohl man den natürlichen Impuls hat „Nein“ zu sagen (aus Bequemlichkeit, Gewohnheit, Angst vor der Meinung Anderer, usw.), obwohl natürlich immer betont wird dass das eben nicht bedeutet alles zu erlauben, sondern man soll überlegt „Nein“ sagen an den Punkten wo es sinnvoll ist (weil z.B. die Grenzen anderer übertreten werden).

„Der beste Weg, die kindliche Kooperationsbereitschaft kontinuierlich zu fördern, besteht darin, so oft wie möglich „Ja!“ zu sagen, also eine „Ja“-Umgebung zu schaffen“ (Graf & Seide 2018, S.161)

Es ist nun aber so dass unsere Ausgangssituation ganz anders war als die der beiden Autorinnen und vieler Leser*innen ihres Blogs. Wir kommen beide aus Herkunftsfamilien in denen wir ziemlich verwöhnt wurden und also viel weniger internalisierte Verbote oder soetwas haben, die zu einem unüberlegten, automatischen „Nein“ führen würden. Wir hatten relativ wenig mit den Meinungen anderer zu kämpfen (u.a. auch weil die Großeltern ja sehr entspannt sind). Unser Kind ist Einzelkind, daher gibt es zuhause normalerweise keine Bedürfnisse anderer Kinder die berücksichtigt werden müssen, und wir verbringen im Schnitt vermutlich weniger Zeit alleine mit dem Kind – ich war vor der Coronazeit etwa 6 Stunden pro Woche mit ihm alleine. Das war also Zeit auf die man sich jedes Mal sehr gefreut hat, und für die man in der Zwischenzeit unendliche Geduldreserven angehäuft hat. Deswegen schert man sich in dieser Zeit vielleicht auch weniger um die eigenen Bedürfnisse – man hat ja sonst genug Zeit dafür.

Ich musste mir also quasi aneignen zu erkennen was Situationen sind in denen es angebracht und nötig ist dass man irgendetwas entgegen den Wünschen des Kindes durchsetzt – ich fand es anfangs sogar bei so „no-brainern“ wie Zähneputzen und Wickeln schwierig mich durchzusetzen. Manchmal hab ich das viel zu spät gemacht weil das Kind halt immer „Nein“ gesagt hat, manchmal beim Zähneputzen aus demselben Grund gar nicht. Ich habe mich dann durch ein paar Jesper Juul Bücher durchgekämpft und obwohl ich sie beim ersten durchlesen alle überhaupt nicht hilfreich fand dann doch ein bisschen was mitgenommen und trat danach einfach etwas entschiedener auf bei Dingen die ich aus gesundheitlichen Gründen wichtig finde. Das bedeutet nicht dass ich das Kind z.B. einfach gepackt und gewickelt habe (das hatte ich davor manchmal aus Verzweiflung gemacht), aber ich hatte mir da angewöhnt einfach sehr klar zu sagen was ich will, und mich dann schon dorthin zu begeben wo das stattfinden soll und alles vorzubereiten. Das Kind hat dann noch irgendwas fertiggespielt und kam dann meistens auch. Was auch gut half war irgendwelche Entscheidungen anzubieten (Was soll alles zum Wickeln/zum Rausgehen mitgenommen werden? Welche der vielen Zahnbürsten/-pasten soll genutzt werden?). Jetzt wo das Kind älter ist und sich länger alleine beschäftigen kann nehme ich manchmal noch ein Buch oder das Handy mit um die Wartezeit zu überbrücken 🙂

Bei uns sind die allermeisten Dinge keine solche „no-brainer“ – wir haben sehr wenig feste Regeln. Eine Regel die uns als Eltern sehr wichtig ist ist: Mama und Papa wechseln sich ab (z.B. beim Abholen aus der Kita, beim ins Bett bringen, …), darauf hat das Kind keinen Einfluß, auch wenn es Präferenzen hätte. Eine weitere wichtige Regel ist dass man in die Kita muss (wenn möglich), das Kind ging allerdings schon immer sehr gerne in die Kita, daher war das kein Problem. Die dritte Regel ist: wir Erwachsene bleiben beim Essen sitzen und beteiligen uns währenddessen nur an Spielen bei denen man sitzen kann.

Ansonsten versuchen wir schon einen festen Tagesablauf anzubieten, aber es ist eigentlich fast alles diskutierbar, bzw. auch von der Tagesform der Beteiligten abhängig. Mein Mann und ich haben auch teilweise unterschiedliche Vorstellungen. Wenn jemand zu etwas „Ja“ gesagt hat was die andere Person nicht gut findet hat sie quasi gewonnen (und wenn es der anderen Person wirklich wichtig ist muss das halt später in einer freien Minute verhandelt werden). Wenn jemand zu etwas „Nein“ gesagt hat was das Kind unbedingt will gibt es ja eh eine längere Verhandlung (das Kind ist erst dreieinhalb, hat aber teilweise schon einige Argumente auf Lager die einem den Wind aus den Segeln nehmen können), da kann sich dann die andere Person zu Gunsten des Kindes einsetzen wenn sie der Meinung ist dass das nicht so schlimm wäre. Wir sind also weder der Meinung (i) dass man da eine gemeinsame Front bilden muss noch (ii) dass man selbst immer konsequent sein muss mit den eigenen Regeln/Tagesstrukturen. Stattdessen ist es wichtig dass das Kind die Gründe für das jeweilige „Nein“ erfährt und da (auch manchmal erfolgreich) dagegen argumentieren kann.