Ich bin sehr froh dass ich schon sehr früh auf dieses Thema gestoßen bin, eigentlich schon während der Schwangerschaft. Bedürfnisorientierte Erziehung ist ein Erziehungsstil der mich sehr angesprochen hat weil die grundliegende Idee dahinter sehr wertschätzend dem Kind gegenüber ist.
Man denkt vielleicht erst einmal, und in diese Falle bin ich auch erst getappt, dass die Grundidee ist, möglichst alle Wünsche des Kindes zu erfüllen. Aber das stimmt nicht, die Kernidee ist dass Kinder im Grunde kooperativ sind, und dass man versucht zu entschlüsseln was hinter irgendwelchen Konflikten die man mit dem Kind hat stecken könnte. Es geht darum zu verlernen dem Kind irgendwelche negativen Motive zu unterstellen und/oder ihm die Schuld für den Konflikt in die Schuhe zu schieben. Stattdessen soll man einerseits im Blick haben dass Kleinkinder in einem Entwicklungsstadium sind in dem sie mit sehr vielen Sachen noch nicht umgehen können und wir die Verantwortung haben ihnen dabei zu helfen das zu lernen. Andererseits sollte man wenn Konflikte gehäuft auftreten überlegen ob es irgendein Grundbedürfnis gibt das vielleicht nicht erfüllt ist. Also quasi weg von dem konkreten Fall (z.B. das Kind beißt andere Kinder) ganz rational zu ergründen was man machen kann um dem Kind generell zu helfen.
Welche Wünsche man nun erfüllt und welche nicht ist familiensache. Es ist schwieriger respektvoll „nein“ zu sagen als „ja“ (da man in diesem Moment ja quasi seine Macht als Elternteil durchsetzt), und z.B. die „gewünschtestes Wunschkind“ Autorinnen raten auch, sich das „Nein“ gut zu überlegen (also nicht dauernd z.B. aus Bequemlichkeit, Gewohnheit, Angst vor der Meinung Anderer, usw. „nein“ zu sagen). Ich als Mensch der eher vielleicht zu häufig „Ja“ sagt (auch aus Bequemlichkeit, Gewohnheit, und Konfliktscheu) bin aber auch der Meinung dass man sich auch sein „Ja“ wenn möglich gut überlegen soll. Also für Menschen wie mich ist es wichtig sich einen Moment Gedanken zu machen ob das Kind dabei etwas neues erleben und lernen kann (z.B. wenn es die Jacke erstmal nicht anziehen will sondern vielleicht erst draußen, wenn es mit irgendwelchem Schmodder spielen will den man selber eklig findet, wenn es irgendeinen komplett anderen Weg gehen will der einen gar nicht nach Hause bringt etc.), oder ob es etwas ist was eher negative Konsequenzen hat (Schokolade zum Frühstück, viel Medienkonsum). Ich denke auch das mit den negativen Konsequenzen kann man mal machen, aber eben nicht dauerhaft.
Andererseits muss man bei all dem auch gut zu sich sein. Also wenn man die Entscheidung trifft einem Wunsch nachzugehen und dann gleich danach merkt dass das keine gute Idee war (und man erzieht bindungsorientiert und sucht die Schuld für die Konsequenzen daher nicht beim Kind), hilft es, finde ich, sehr, das als eine Art Lernprozess zu sehen statt ein schlechtes Gewissen zu haben oder das Gefühl zu haben man hat in dem Moment als Elter versagt. Man muss eben lernen wie viel man dem Kind und auch sich selbst zumuten kann, und dabei Dinge ausprobieren. Bedürfnisorientierte Erziehung heißt eben auch, zu versuchen die Bedürfnisse aller Beteiligten (auch die eigenen) im Blick zu behalten und bei Entscheidungen zu berücksichtigen.
Ein Beispiel: Wenn ich z.B. dem Wunsch meines Kindes nachgebe einfach geradeaus zu laufen obwohl ich weiß dass wir dann nicht pünklich etwas zu Abend essen können und dann beide hungrig und genervt sind – ich noch mehr als das Kind -, dann darf ich die Schuld nicht beim Kind suchen. Ich bin ja die Erziehungsperson und es war letztendlich meine Entscheidung ob wir das machen. Ich sollte also nicht sagen: „Siehst du, das passiert wenn wir geradeaus laufen, das hast du jetzt davon.“ Ich sollte mir aber auch keine Vorwürfe machen. Es ist ja nichts schlimmes passiert: wir kaufen eine Brezel, das Abendessen wird ein bisschen nach hinten verschoben und das Kind hat dann evtl halt keinen Hunger mehr weil es schon eine Brezel gegessen hat. Dafür hat es herausgefunden was am Ende der Straße ist an der wir sonst immer vorbei laufen.
Ein anderes Beispiel: Ich gebe z.B. dem Wunsch meines Kindes nicht nach mit ihm vor anderen Menschen Hund und Herrchen/Frauchen zu spielen, weil ich Lust habe mich mit diesen Menschen zu unterhalten und es mir vor ihnen auch ein bisschen peinlich ist auf allen Vieren mit dem Po zu wackeln während ich einen Frisbee im Mund habe. Das Kind ist dann evtl sehr traurig und wütend und man muss ihm in diesem Moment helfen mit diesen Gefühlen umzugehen, d.h. es trösten und für es da sein. Das bedeutet aber nicht dass ich nachgebe und den Hund spiele, es bedeutet einfach dass ich anerkenne dass das Kind noch zu klein ist um alleine mit seinen negativen Gefühlen klar zu kommen, und ich oder wir versuchen zu helfen (häufig lässt sich das Kind bei uns eher von der Person trösten die den Wutanfall nicht mitverursacht hat). Das bedeutet natürlich auch dass mein Wunsch mit meinen Freunden zu reden in diesem Moment nicht erfüllt werden kann, aber das sollte ich dem Kind nicht vorwerfen – es kann ja nichts dafür dass es von seinen Gefühlen überrannt wird und sie noch nicht im Griff hat. Ich sollte aber auch kein schlechtes Gewissen haben weil ich quasi die Ursache des Wutanfalls bin. Mein Kind kann den Umgang mit negativen Gefühlen nur erlernen wenn es sie erlebt. Wenn wir also versuchen würden jeglichen Frust von ihm fernzuhalten, würden wir ihm auch keinen Gefallen tun. Außerdem, so schreibt Jesper Juul, ist es für die Kinder wichtig, die persönlichen Grenzen der Eltern zu erfahren um selbst später in der Lage zu sein, persönliche Grenzen zu setzen.